Herr Reger, in unseren Haushalten werkeln viele elektronische Helfer: Geschirrspüler, Waschmaschinen, Staubsauger, Bügeleisen – die Liste ließe sich noch weiter verlängern. Gemeinsam ist all diesen Helfern, dass sie die Menschen unterstützen und die Arbeit erleichtern. Allerdings sind sie nach wie vor auf den Menschen (Bedienung, Teilbearbeitung, Programmierung, Einrichtung, etc.) angewiesen. Wann wird der Mensch bei der Hausarbeit überflüssig? Sprich: Wann übernehmen Roboter den Job des Geschirrspüler-Ausräumens, des Wäsche-Bügelns und wann werden sie den Müll raustragen?
David Reger: Das wird schneller gehen, als wir alle denken. Aber um manche lästigen Arbeiten endlich loszuwerden, wird es länger dauern, als wir es uns wünschen. In zwei Jahren werden wir sicher die ersten Haushaltsroboter auf dem Markt sehen, die uns unterschiedliche Arbeiten abnehmen können und sich später weiterentwickeln. Das ist der Unterschied zum Saugroboter, der nur staubsaugen kann. Ein Roboter, der die Spülmaschine ein- und ausräumen kann, wird rein technisch auch in der Lage sein, Einkäufe in den Kühlschrank zu verstauen, Wasserkästen zu stapeln oder Essen in der Mikrowelle aufzuwärmen. Das Tempo wird zum großen Teil auch durch das Umfeld bestimmt. Wären wir zum Beispiel bereit, ein bisschen mehr Struktur im Haushalt zuzulassen oder Lieferverpackungen für Einkäufe zu standardisieren, so wie wir es z.B. beim Bierkasten haben, dann würden wir nicht nur die Umwelt entlasten, sondern auch den Traum vom Haushaltsroboter schneller real werden lassen.
Der Einsatz von Robotern ist ja prinzipiell seit Jahren gelernt. In der Industrie unterstützen sie die Produktion, sei es bei der Herstellung kleinster elektronischer Bauteile oder mächtiger Maschinen. Was macht einen möglichen Einsatz im Haushalt besonders herausfordernd?
Die Herausforderung liegt im Grunde darin, dass der menschliche Körper wirklich ein Wunder ist und wir im Laufe der Zeit alles um uns herum an unsere unglaublichen Fähigkeiten angepasst haben. Wir gehen in eine dunkle Küche, ertasten den Lichtschalter an der Wand, während wir reflexartig über ein Spielzeug steigen, das unerwartet vor den Füßen liegt. Alles unbewusst. Unsere Hände sind gleichzeitig äußerst sensibel, können mit nahezu jedem Messer, das wir finden, eine Zwiebel in Würfel schneiden. Dieselben Hände können kraftvoll zupackend einen schweren Wasserkasten heben und vorsichtig auf den Tisch stellen. Zugleich können wir uns umsehen, Rücksicht auf andere Menschen nehmen, ein Gespräch führen und im Hinterkopf schon den nächsten Handgriff planen – zur Not dabei über die Katze steigen, die wir nur am Bein gespürt haben. Dabei ist auch egal, ob die Küche groß oder klein ist, hell oder dunkel, bunt oder weiß. In der Industrie hätten Roboter unter gleichen Voraussetzungen auch niemals funktioniert. Dort hat man aber die Möglichkeit genutzt, ein künstlich aufgeräumtes und strukturiertes Umfeld zu schaffen, sogar so weit, dass man Roboter hinter Zäune stellte, um Menschen vor ihnen zu schützen. Erst kognitive Roboter, die sehen, hören, tasten und lernen können, sind in der Lage, ein chaotisches Umfeld wie eine private Küche zu meistern.
Immer wenn humanoide Roboter vorgestellt werden, fällt auf, dass sie häufig wie eine Kopie des Menschen wirken. Sie haben meist zwei Arme, mit menschenähnlichen Bewegungsradien und einen Kopf mit einem freundlich lächelnden „Display-Gesicht“ mit blinzelnden Augen. Könnte man diese Roboter nicht völlig anders gestalten – zum Beispiel ohne Kopf und mit vier Armen – oder gäbe es dann ein Akzeptanzproblem?
Das könnte man – und das tun wir auch. Es wird auch für den privaten Bereich Roboter in allen denkbaren Formen geben und man wählt aus, welche Bauform am besten zur Anwendung passt. Ein Serviceroboter, der Müll auf der Straße aufsammelt, kann sicher mehr als zwei Arme gebrauchen. Und zwei Beine sind eine sehr instabile Basis. Es hat seinen Grund, warum wir uns für viele Tätigkeiten hinsetzen oder abstützen, weil unsere Hände dann bessere Arbeit machen. Es braucht also nicht jeder Roboter zwei Beine. Aber die Sache mit der Akzeptanz stimmt natürlich. Wenn es einen Kopf gibt, wissen wir sofort, wo die Augen sind, denen wir etwas zeigen wollen. Und dazu kommen praktische Dinge: Wir sind umgeben von Stufen und Treppen: Die lassen sich nun mal nur mit Beinen überwinden.
KI ist das prägende Technologiethema dieser Zeit. Robotik folgt in der Häufigkeit der Berichterstattung gefühlt erst deutlich dahinter. Haben Roboter in der öffentlichen Wahrnehmung ein Aufmerksamkeits-Defizit? Wäre die rasante Entwicklung der Robotik, wie wir sie derzeit erleben, ohne die ebenfalls rasanten Entwicklungen im Bereich der KI möglich?
KI und Robotik sind voneinander abhängig und beides hat auch gleichzeitig an Fahrt aufgenommen. Neura Robotics wurde ja bereits 2019 gegründet, um kognitive Roboter zu bauen. Damals war in der Öffentlichkeit KI noch kein so großes Thema. Das begann mit ChatGPT und den ersten Fake-Fotos. Jetzt ist die Zeit, wo sich beide Welten vereinen: Die Roboter brauchen KI, um lernen und interagieren zu können. Die KI braucht Roboter, um eine Vorstellung von der realen Welt zu bekommen, zum Beispiel von der Zeit oder von physischen Grenzen und Widerständen. Der Vorsprung der KI in der Berichterstattung ist auch ein bisschen Fake. Es gab eine Zeit, da hat man auf alles KI geschrieben, wo einigermaßen fortschrittliche Software drin war, nur aus Marketinggründen. Das ist mit einem Roboter nicht so einfach. Der steht da und ist entweder erkennbar ein Roboter, oder er ist eben keiner, insbesondere natürlich bei Humanoiden. KI und Fortschritt sind heute fast schon Synonyme. Aber da schauen manche nicht genau hin, auch in den Medien. KI ist für sich genommen eine Innovation, aber eine Innovation macht eben noch keinen Fortschritt. Im Gegenteil: Wenn KI Bilder kreiert und Bücher schreibt, macht sie uns bei Themen Konkurrenz, die uns Menschen ausmachen. Das macht vielen Angst und stört die Akzeptanz. Ich bin sicher, wenn KI durch die Verbindung mit Robotik uns plötzlich unliebsame Arbeiten abnimmt, wird das sofort anders aussehen.
Die theoretischen Möglichkeiten für den Einsatz von humanoiden Robotern sind vielfältig: in der Industrie, im häuslichen Bereich, in der Pflege und im Gesundheitssektor beim Militär und beim Katastrophenschutz – um nur ein paar Märkte zu nennen. Wo wird es kurz- bis mittelfristig das größte Wachstum geben?
Ich gehe heute davon aus, dass wir ein starkes Wachstum in all diesen Bereichen mehr oder weniger parallel sehen werden. Das Militär war traditionell immer ein technologischer Vorreiter. Die hatten die Budgets. Bei Robotern ist das heute etwas anders. Wenn das US-Militär schon Roboterarmeen hätte, würden wir sie im Einsatz sehen. Haben sie aber nicht. Die sind also nicht viel weiter als Unternehmen wie Neura, die sich einer ausschließlich friedlichen und zivilen Nutzung der Robotik verschrieben haben. Und in der zivilen Gesellschaft wird der Markt dort am schnellsten wachsen, wo der Bedarf am größten ist, sprich: dort, wo heute der größte Mangel an Arbeitskräften besteht.
Eine Ergänzungsfrage dazu: Damit ein Produkt erfolgreich wird, muss der – gefühlte oder tatsächliche – Nutzen in einem gesunden Verhältnis zu den Kosten stehen. In welchem Marktsegment liegt das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Das ist eine sehr spannende Frage. Denn der gefühlte Nutzen von technischen Geräten und die Investitionsbereitschaft der Menschen verschiebt sich seit Jahren sehr stark. Niemand hätte gedacht, dass man für ein Telefon 500 bis 1.000 Euro oder mehr zahlen würde. Aber ein Smartphone ist eben heute auch Computer, Kamera, Navigationsgerät und Spielekonsole. Jetzt stellen Sie sich Smartphones mit Armen und Beinen vor, die richtig mit anpacken können. Was wäre Ihnen ein persönlicher Haushalts-Assistent wert, der immer da ist, mit anpackt und nie vergisst, den Müll rauszubringen? Ich bin sicher, in vielen Familien würden jede Menge Streitgründe wegfallen. Was ist das wert?
Kritiker der Robotik sagen, dass Roboter Arbeitsplätze vernichten würden. Ist diese Befürchtung berechtigt?
Darf ich ehrlich sein? Allein der Ausdruck “vernichten” sagt mir, dass diese Kritiker nicht sehr sachlich unterwegs sind. Im Laufe der Jahrhunderte sind immer wieder Arbeitsplätze – wie man sagt – wegrationalisiert worden, weil es neue technische Geräte und Werkzeuge gab. Und stets gab es dann schon nach kurzer Zeit neue Arbeitsplätze in anderen Bereichen. Haben wir in den letzten hundert Jahren unzählige Arbeitskräfte im Kohlebergbau verloren? Ja. Würde heute noch jemand gern im Kohlestaub unter Tage arbeiten, wo wir kaum noch junge Menschen für eine vergleichsweise weniger gesundheitsschädliche Handwerksausbildung wie Tischler oder Maurer begeistern können? Ich sehe heute international vor allem viele Branchen, wo Arbeitskräfte fehlen, weil niemand diese Jobs machen will.
Neura ist nicht nur in Deutschland und Europa aktiv, sondern weltweit – dann kennt man bei Neura sicherlich die unterschiedlichen Einstellungen und Bestrebungen in Bezug auf Robotik in den verschiedenen Ländern. Sind wir in Deutschland und Europa im richtigen Tempo unterwegs oder haben uns Märkte mit ausgeprägterer Technologiebegeisterung längst abgehängt?
Solange wir im Technikkaufhaus noch keinen Haushaltsroboter kaufen können, haben andere offenbar noch kein Produkt auf dem Markt. Also sind wir wohl noch nicht abgehängt. Wir haben also bei den Robotern noch eine reale Chance, nicht ebenfalls als reine Anwender zu enden, sondern als Macher den Markt zu gestalten und voranzugehen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Bedeutung der Robotik auch anderswo erkannt wurde und manche Länder sehr, sehr viel Geld einsetzen, um an die Spitze zu kommen. Wir in Deutschland sind – rein technologisch gesehen – in vielen Disziplinen der Robotik dagegen tatsächlich an der Spitze, da Automation und Robotik im Automobilumfeld natürlich stark gefordert waren. Ich arbeite fast jeden Tag daran, Unternehmer und Politiker in Deutschland zu überzeugen, weniger über die Probleme der Automobilindustrie zu jammern und stattdessen diese Kapazitäten in die Robotik umzulenken.
Gibt es Wünsche an die Politik – oder auch an die etablierte Industrie – damit Neura weiter an seiner Erfolgsstory schreiben kann?
Politik kann in dieser Situation eigentlich nicht so viel tun. Das ist nicht zynisch, sondern realistisch. Die Entwicklung bei KI und Robotik schreitet derart schnell voran, dass die politischen Mühlen viel zu langsam mahlen, um irgendwie Schritt halten zu können. Was heute im politischen Rahmen diskutiert wird, ist in den Tech-Unternehmen entweder schon Schnee von gestern oder längst auf dem Markt. Es sind die Unternehmer und die Investoren, die Chancen erkennen und aktiv werden müssen. Wenn Politik wirklich was tun will, dann: schneller und pragmatischer werden, weniger reden und mehr umsetzen – idealerweise sogar das, was angekündigt wurde. Dann haben wir Planungssicherheit und gute Stimmung. Das wäre ein guter Anfang.